Vor ein paar Jahren hatte ich das Glück, eine von Mattel Deutschland an Spielwarenhändler gerichtete Informationsmappe zu finden. Sie steckt voller Informationen, die bisher noch nie in einem Barbie-Führer oder in anderen Quellen erwähnt wurden.
Die Mappe stammt von Februar oder Anfang März 1967 (es ist leider nirgends ein genaues Datum zu finden). Sie birgt einen Schatz an Informationen, den ich heute mit euch teilen will.
Marketing bei Mattel und Vor- und Nachteile von "Made in Germany"
Im vierseitigen, eng bedruckten Anschreiben der Mattel GmbH in Babenhausen, wird gleich zu Anfang auf das Mattelsche Marketingkonzept hingewiesen, welches in der Zeitschrift „Führungspraxis“ für Unternehmer als positives Beispiel für die deutschen „Spielzeugler“ genannt - mit der unterschwelligen Warnung, den Zug nicht zu verpassen. Mattel betont, dass es ihr gelang, den Umsatz in den USA auf das zehnfache zu steigern, „während sich der US-Spielzeugumsatz nur verdoppelte“ (ein Zeitraum hierfür ist nicht angegeben).
Wie auch im Spiegel (DER SPIEGEL 51/1965 Hier Raubüberfall 14.12.1965), den ich bereits im Blog Beitrag 1 erwähnt hatte, ist ausgiebiges Marketing oder Marktforschung für deutsche Spielzeugherstellern Mitte der sechziger Jahre noch weitgehend unbekanntes Terrain.
Auch wird das Spielzeug meist noch in Deutschland produziert. Zwar ist Made in Germany zu dieser Zeit ein Qualitätsmerkmal, trotzdem haben die Spielzeugproduzenten dadurch einen unübersehbaren Marktnachteil großen internationalen Spielwarenproduzenten gegenüber, die in Billigproduktionsländern produzieren lassen.
Die Firma Mattel verweist stolz auf die Originalität ihres Spielzeugs, welche auf dem „vorurteilsfreien Verständnis für das Kind“ basiert, und auf dem Gespür für Marktlücken – als Resultat einer großen und in Deutschland bisher unüblichen Investition in die Marktforschung.
Der Erfolg der von Mattel hergestellten Spielsachen liegt eigenen Angaben nach zusätzlich an folgenden Maßnahmen: Der Produktion von Ergänzungsspielzeug, wo immer dies möglich ist, und der Produktion von realistischem Aktionsspielzeug sowie der Werbung.
Mattel hat ein unschlagbares Gespür dafür, wie ein Spielzeug im jeweiligen Zielland am besten vermarktet werden kann. Für Deutschland hat man sich als Aushängeschild Peter René Körner ausgesucht, der in den 50er Jahren in Deutschland als Schlagersänger und Schauspieler – und speziell bei Kindern in den 60er Jahren als Darsteller im Kinderfernsehen des WDR und für seine Kinderlieder Schallplatten – sehr bekannt ist.
Im Schreiben weist Mattel darauf hin, dass Körner ab dem 10. Februar 1967 im Fernsehen, Zeitungsinseraten und am Verkaufsort Mattel Spielzug empfehlen wird.
Fernsehwerbung ist ein großes Thema. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass die Mattel Werbung im Fernsehen auch außerhalb der Osterzeit geschaltet werden wird. Dies ist eine absolute Neuheit im deutschen Fernsehen, denn die deutschen Spielwarenhersteller sehen bisher keine Notwendigkeit, außer vor Weihnachten und Ostern für ihre Produkte zu werben. In den USA führte Mattel zuvor schon die ganzjährige Fernsehwerbung ein.
Weiterhin sind laut Anschreiben ein Preisausschreiben im Stern geplant, zusammen mit einer ganzseitigen Anzeige und mindestens 10 weiteren ganzseitigen Folgeanzeigen, sowie Anzeigen in verschiedenen Familienzeitschriften. Bisher gibt es laut Mattel in Deutschland noch kein bundesweites Magazin für junge Mädchen. Aber:
Im Februar 1967 soll aber endlich eine bundesweite Mädchenzeitschrift auf den Markt gebracht werden. Sie nennt sich TINA. Sie erscheint wöchentlich in der Buch- und Pressedienst GmbH, München. In ihr hat Mattel ebenfalls ein Barbie-Preisausschreiben platziert. Außerdem wird im Händler-Anschreiben erwähnt, dass „Barbie im schicken Mantel mit Pelzkragen, Artikel-Nr. 0819, … in Großaufnahme auf der 4. Umschlagseite abgebildet“ ist.
Ich konnte einige Ausgaben dieser Zeitschrift erwerben, und bin erstaunt darüber, wie viel Barbie in diesen Heften vorkommt. Außer dem erwähnten Preisausschreiben im zweiten Heft, das allerdings die Nummer 11 hat (das erste Heft startet demnach als Nummer 10), ist auf jeder Rückseite jeweils eine andere Barbiepuppe in einem aktuellen Modeset abgebildet, und ein ausführlicher Text weist auf die Feinheiten des Sets hin. Zusätzlich gibt es im Innenteil eine zweiseitige Fortsetzungsstory im Comic Stil: „Barbie – die ‘Modepuppe‘“ („Hier ist sie – Eure Lieblingspuppe auf dem Weg zum Spitzenmodell“). Das Magazin gibt es auch in den anderen deutschsprachigen Ländern: in der Schweiz, in Österreich und in Luxemburg.
Doch scheint es diese deutschsprachige Zeitschrift für Mädchen nur im Jahr 1967 zu geben, denn spätere Ausgaben sind mir nicht bekannt. Allerdings habe ich bei meinen Recherchen herausgefunden, dass es genau dasselbe Magazin anscheinend auch in vielen weiteren Ländern der westlichen Welt gibt – jeweils in der Landessprache. Zum Beispiel in den Niederlanden und in Großbritannien. In UK gibt es das Heft auch - und sogar ein Nachfolgemagazin, welches sich Princess Tina nennt und einige Jahre auf dem Markt ist.
Mattel scheint hier eine sehr große Investition in dieses Magazin getätigt zu haben. Außerdem muten einige der regelmäßig fortgeführten Comics doch sehr US-amerikanisch an („Jackie und die Wild Boys“, „Weltraum Girls“, „Geheimagentin Jane Bond“). Ich finde die Möglichkeit nicht ganz abwegig, dass Mattel bei der Herausgabe dieses Heftchens eventuell auch seine Finger im Spiel gehabt haben könnte, um das Produkt Barbie zu promoten.
Mehrere hunderttausende Prospekte und zwei großzügige Verbraucherkataloge für die Mattel-Neuheiten in Großauflage sollen verteilt werden.
Zusätzlich wurden zum Zeitpunkt des Versands des Händlerkatalogs bereits einige weitere Marketing-Maßnahmen durchgeführt, unter anderem sind in den Vorwochen bereits mehr als 12 Millionen Zeitungsnotizen und -Berichte über Mattel und Barbie sowie ein fünfseitiger Bericht in der Zeitschrift „Führungspraxis“ erschienen. Eine zweistündige Fernsehsendung zum Thema Barbie wurde am 7.1.1967 im WDR ausgestrahlt.
Mehrere weitere, eineinhalbstündige Sendungen über Barbie in verschiedenen regionalen Fernsehanstalten sowie eine dreiviertelstündige Fernsehsendung im Ersten Programm am 15.04.67 sind laut Mattel ebenfalls geplant. Ich habe versucht, den einen oder anderen dieser Fernsehbeiträge aufzutreiben, leider erfolglos.
Auch über das Medium Film soll Barbie Kundschaft anwerben: „Am 1.2.67 war in Kitzbühel Drehbeginn für eine Gemeinschaftsproduktion von Columbia & Lions Pictures mit Stephen Boyd und Barbie … Um welchen Film es sich wohl handelt? Ich wurde bei meinen Recherchen hierzu leider nicht fündig.
Mit dieser Marketing-Offensive werden - laut Mattel - Eltern und Kinder gezielt angesprochen und dadurch als Kunden für die Spielwarengeschäfte, die Mattel Produkte im Angebot haben, angeworben.
Als weiteren Anreiz für die Spielwarenhändler, Mattel Produkte ins Angebot aufzunehmen, stellt Mattel ihnen Ausstellungsstücke und Verkaufshilfen zur Verfügung. Diese Produkte sollen den Interessenten erstmalig auf der Nürnberger Spielwarenfachmesse 1967 gezeigt werden. Was würde ich dafür geben, eines dieser Ausstellungsstücke oder Verkaufshilfen einmal sehen zu können!
Als letzter Punkt im Anschreiben wird der internationale Barbie-Club vorgestellt, als „eine der interessantesten und erfolgreichsten Public-Relations-Maßnahme der Spielzeuggeschichte“. Der Barbie-Club wird in den Preisausschreiben und Illustriertenanzeigen beworben und trägt nicht unerheblich zum Erfolg der Barbiepuppe bei den Konsumenten bei.
Wenn man all diese Maßnahmen liest, wird einem fast schwindelig. Wie viel Aufwand und Geld steckt dahinter! Aber wie wir wissen, hat sich dieser Aufwand für Mattel absolut gelohnt.
Grundlagen der "Matellschen" Marktforschung
Im weiteren Text des Händleranschreibens geht die Firma Mattel detailliert auf ihre Marktforschung ein:
Grundlage ist die Erforschung des kindlichen Konsumverhaltens. Bisher werden „Kinder als Konsumenten als launisch und meist unberechenbar“ angesehen. Durch die intensive Forschung ist Mattel jedoch den „Wünschen und Strömungen kindlichen Konsumverhaltens“ auf die Schliche gekommen.
Als Beispiel wird eine sehr interessante Begebenheit erwähnt, nämlich die öffentliche Diskussion 1959 anlässlich der Einführung der Barbie in den USA. Experten verrissen Barbie und gaben ihr keine Chance auf dem Markt. Die Kinder jedoch „stürmten die Spielzeugläden und machten Barbie in kürzester Zeit zur meistverkauften Puppe der Welt“.
Mattel Neuheiten 1967
Im restlichen Text des Anschreibens werden alle Mattel Neuheiten auf dem deutschen Markt des Jahres 1967 vorgestellt, unter anderem natürlich aus der Barbie Welt: Tutti, Ricky, Skipper mit beweglichen Beinen (Skipper mit geraden Beinen gibt es bereits), Barbie mit beweglichen Beinen (American Girl Barbie). Die American Girl Barbiepuppe #1070 gibt es in den USA schon seit 1965. Sie ist dort nur bis Ende 1966 im Programm und wird dort von der TNT Barbie #1060 abgelöst, die bei uns zur gleichen Zeit wie das American Girl in die Regale kommt - unter der Bezeichnung „Facelift-Barbie“! Welche dieser beiden Barbies sind damals bei den deutschen Kindern wohl besser angekommen?
Francie wird als „Geheimfavorit“ genannt – sie gibt es in Deutschland jetzt gleich in mehreren Ausgaben (mit beweglichen Beinen und mit Wimpern, als „Francie-Update“ zusätzlich mit beweglicher Taille sowie das „exotische Mitglied, … kakaobraun, mit tiefschwarzem Haar“: Die Francie-Negro, die im selben Abschnitt als „graziles Wesen“ beschrieben wird). Francie mit geraden Beinen wird nicht als Neuheit genannt, sie gibt es aber ebenfalls zu kaufen. Im deutschen Barbie Prospektheft von 1967 ist sie jedenfalls abgebildet. Muss ihre Geschichte neu geschrieben werden, und sie ist eventuell schon ein Jahr früher als angenommen, nämlich 1966, auf dem deutschen Markt?
Im der Händlermappe ebenfalls beiliegenden vierseitigen Faltblatt sind die Neuheiten des Jahres 1967 der Welt der Barbie abgebildet. Unter anderem eine Straight Leg Francie. Im Text wird Francie aber als „Barbies junge Kusine mit lebensecht biegsamen Beinen und eingenähten Wimpern“ bezeichnet. Der Text passt nicht zum Bild.
Immer wieder wird auf die Nürnberger Spielzeugmesse verwiesen, auf der einige Mattel Neuheiten „aus Gründen der Geheimhaltung“ erst ihre Premiere haben sollen. Ich wäre sehr gerne auf der Messe gewesen um mehr über diese Neuheiten erfahren. Was das wohl war?
Leider ist das Bestellformular, welches zur Infomappe gehört, in meiner Mappe nicht mehr vorhanden. Es hätte noch sehr viel mehr Aufschluss über das verfügbare Sortiment gegeben.
Nochmals Marktforschung - Sonderdruck Kinder sind anders aus "Führungspraxis"
Dem Anschreiben liegt jedoch ein weiteres, fünfseitiges Faltblatt bei, als dessen Autorin Karin Mönkemeyer genannt wird, und in dem es detaillierter um die Marktforschung geht und darüber aufgeklärt wird, weshalb Eltern und Verwandte doch lieber die teuren Barbiepuppen verschenken, als zu den günstigen Imitaten zu greifen. Es handelt sich hierbei um den Sonderdruck „Kinder sind anders“ aus der Zeitschrift „Führungspraxis“ Nr. 1/1967.
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An dieser Stelle endet der heutige Blogbeitrag. Ihr könnte aber nachfolgend noch mehr tolle Barbie Bilder aus den Tina Heftchen finden. Wenn ihr mehr über den Inhalt des Sonderdrucks erfahren möchtet (unter anderem geht es da auch um die „Leitlinien Matellscher Produktplanung“ und den Prozess von der Idee bis zur Markteinführung eines neuen Produkts) und wissen möchtet, was im der Händlermappe beigefügten Pressespiegel steht oder warum Oma 1967 lieber eine echte Barbie statt einer Imitation kauft - schaut in Teil 2 dieses Beitrags. Ich verspreche: Es lohnt sich! Fortsetzung folgt.
Hier noch der direkte Link zum Fortsetzungsbeitrag (ganz unten gibt's nochmal einen):
Und hier noch die versprochenen Bilder:
Die Jahresangaben bei den Outfits beziehen sich auf die USA, deutsche Verfügbarkeit kann davon abweichen. Hierzu wird es einen gesonderten Blog Beitrag geben.
Link zum Fortsetzungsbeitrag: